Selektives Hörverstehen
Selektives Hörverstehen ist immer dann notwendig, wenn einem Hörtext lediglich einzelne Informationen entnommen werden sollen. Um welche Informationen es sich handelt, ergibt sich in der Lebenswelt durch das individuelle Interesse der Hörer (z. B. an den zu erwartenden Tagestemperaturen oder dem aktuellen Tabellensieger). In den VERA 8-Aufgaben werden sie in der Aufgabenstellung genannt (z. B. Telefonnummern, Zeitangaben oder bestimmte Merkmale von Personen). Für das Lösen der Aufgabe ist es nicht notwendig, den Text global verstanden zu haben. Je nach Umfang der erfragten Informationen und ihrer Platzierung im Text kann das selektive Hörverstehen in detailliertes Hörverstehen übergehen.
Detailliertes Hörverstehen
Der Hörstil "detailliertes Hörverstehen" zielt auf das Erkennen und Verstehen relevanter Textdetails. Das kann die Hauptpunkte bzw. Hauptaussagen einzelner Textpassagen betreffen, den detaillierten Handlungsverlauf einschließlich Ursachen und Folgen oder die im Text vorkommenden Personen und Objekte. Darüber hinaus
können auch Handlungsziele dieser Personen, ihre Emotionen und Stimmungen sowie ihre zum Ausdruck kommenden Meinungen und Haltungen Ziel des detaillierten Hörens sein. Dabei müssen teilweise implizite Textinformationen erkannt und Schlussfolgerungen gezogen werden. Dies erfordert inferierendes Hören.
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Langkommentar und Übungen: siehe Modul B (Didaktische Handreichung VERA 8 2011)
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Ähnliche Testaufgaben zur Überprüfung des detaillierten Hörverstehens
- House
- Food
Wie kann man Hörverstehen im Unterricht üben?
Die Kompetenz Hörverstehen kann man nicht direkt üben, man kann lediglich Materialien und Impulse bereitstellen, die die Entwicklung der verschiedenen Arten des Hörverstehens unterstützen. Segermann (2003) unterscheidet dabei zwei unterschiedliche Ansätze.
Eher dem Trainingsgedanken verpflichtet ist das „wissensbasierte, formal orientierte Komponenten- und Stufenmodell“. Es geht davon aus, dass man die einzelnen, für das Hörverstehen notwendigen Teilfertigkeiten und Strategien isoliert üben und später zu einer komplexen Hörkompetenz zusammenfügen kann. Normalerweise werden hierfür didaktisierte Materialien erstellt, die im Laufe der Lernjahre zunehmend authentischer werden.
Die folgenden Strategien sollten trainiert werden:
Strategien zum Hörverstehen
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textexterne/ paratextuelle Hinweise nutzen
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visuelle Elemente der Aufgabenstellung als Verstehenshilfe nutzen auf den Inhalt bezogene Informationen, die vor dem Abspielen des Hörtextes gegeben werden, nutzen
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Überschrift der Aufgabe zur Texterschließung nutzen
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Vorwissen über das Thema/die Situation zum Aufbau einer Hörerwartung nutzen
Strategien während des Hörens – allgemein
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feststellen, um welche Textsorte es sich handelt, um Hörerwartungen zu fokussieren
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Textsortenkenntnisse aus der Muttersprache und anderen Sprachen anwenden
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Textstruktur zur Texterschließung nutzen
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Funktion von Sätzen erkennen (z.B.: Erklärung, Beispiel, Schlussfolgerung)
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Intonation als Verstehenshilfe nutzen
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bei Verständnisschwierigkeiten weiterhin folgen bzw. neu anknüpfen
Strategien während des Hörens – Wörter erkennen und nutzen
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Aktivierung der Wortfelder (Obergriffe, Synonyme) zu Begriffen aus den Überschriften bzw. Aufgaben
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Konzentration auf Schlüsselwörter (zentrale Begriffe des Textes werden oft in die Aufgabenstellung aufgenommen und lenken so das Hörverhalten)
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Bedeutung unbekannter Wörter durch Ableiten erschließen/Wortbildungskenntnisse anwenden
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Bedeutungen unbekannter Wörter und Wendungen aus dem Kontext bzw. aus dem Deutschen bzw. anderen Sprachen erschließen
Strategien nach dem Hören/vor dem 2. Hören
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Zusammenhänge zwischen Textteilen herstellen und Schlussfolgerungen aus Textinformationen ziehen
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Kombination relevanter Einzelinformationen, um einzelne Distraktoren auszuschließen
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zweites Abspielen des Hörtextes zum fokussierten Hören bzw. zum Überprüfen der Antwort nutzen
Typische Übungsformen im Bereich der isolierten Komponenten sind
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die Diskriminierung von Lauten und Intonationsmustern
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das Erkennen von Schlüsselwörtern
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das Erkennen von grammatischen Morphemen und syntaktischen Strukturen
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das Erkennen der Textstruktur
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die Identifikation von Textart, Sprechintention, Sprachregister.
Typische Übungsformen für komplexe Hörsituationen sind vor dem Hören
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das Wecken von Erwartungen
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das Aktivieren von Vorwissen
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die Reaktivierung von Wortschatz.
Das Hörverstehen wird in diesem Ansatz entweder durch Aufgabenformate überprüft wie die bei Vera-8 verwendeten (Zuordnungsaufgaben, Multiple-Choice-Aufgaben, Richtig-Falsch Aufgaben, Ausfüllen von Rastern und Tabellen, Lückentexte), durch nonverbale Reaktionen, Inhaltsangaben auf Deutsch oder Fragen zum Text.
Eher dem Entwicklungsgedanken verpflichtet ist das „tätigkeitsbasierte, inhaltlich orientierte Integrationsmodell“. Es begreift Hörverstehen als unteilbaren Prozess, der von Anfang an nur als ganzheitliche Tätigkeit an echten Hörtexten in echten Situationen entwickelt werden kann. Ziel ist es zuzuhören, um etwas Neues, und Interessantes zu erfahren, und nicht primär, um das Hörverstehen zu verbessern. Dieser Ansatz verwendet von Anfang an authentische oder zumindest natürlich wirkende Hörmaterialien, d.h. es werden ein (weitgehend) normales Sprechtempo und die typischen Merkmale gesprochener Sprache benutzt. Die Textschwierigkeit liegt somit in der Regel weit über dem Produktionsniveau der Schülerinnen und Schüler.
Typische Übungsformen sind
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das Segmentieren des Lautstroms
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die Analyse von Sinnstrukturen (Wer? Was? Wo? Mit wem? Wodurch? Warum? Auf welche Weise? Wann?)
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Einkreisen der Sinnhypothesen durch wiederholtes Hören
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Vertraut werden mit den Diskursformen, die für gesprochene Sprache typisch sind.
Die Überprüfung findet in der Regel während der Hörtätigkeit und der anschließenden Weiterverarbeitung des Gehörten statt. Ein wichtiger Vorteil dieses Ansatzes ist, dass die Schülerinnen und Schüler von Anfang an lernen, mit quasi authentischen Hörsituationen zurechtzukommen und entsprechende Strategien zum konstruktiven Umgang mit Nicht-Verstehen entwickeln.
Unseres Erachtens sind die beiden Modelle durchaus kombinierbar in dem Sinne, dass von Anfang an möglichst viele authentische bzw. natürlich wirkende Hörmaterialien eingesetzt werden, deren Schwierigkeit deutlich über dem Produktionsniveau der Schülerinnen und Schüler liegt.
Zusätzlich zu den genannten Übungsformen können insbesondere zum Strategientraining die für den ersten, komponentenorientierten Ansatz aufgeführten Übungsformen verwendet werden. Wichtig ist bei beiden Ansätzen, dass die Schülerinnen und Schüler jeweils wissen, mit welchem Ziel und in welcher Funktion sie zuhören, z.B. um Informationen aufzunehmen, um auf der Basis der erschlossenen Informationen anschließend selbst aktiv zu werden oder um einen aktiven Part in der Hörsituation zu übernehmen.
Wichtig ist auch, dass Hörtext, Hörziel und Aufgabenstellung zusammenpassen (z.B. selektives Hören mit dem Ziel bestimmte Zeitangaben aus einer Ansage herauszuhören, detailliertes Hören einer Personenbeschreibung mit dem Ziel ein Phantombild zu zeichnen).
Für die Testung der Hörverstehenskompetenz sind in beiden Ansätzen geschlossene und halboffene Aufgaben, die möglichst wenig eigene Textproduktion verlangen, einzusetzen.
Literatur
Segermann, Krista (2003): Übungen zum Hörverstehen. In: Bausch, Karl-Richard/Christ, Herbert/Krumm, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Vierte, vollst. Neu bearbeitete Auflage. Tübingen, Basel: Francke: 295-299